Lash Back: Das Solo-Debüt des Musikers und Produzenten Sanford Parker (Buried at Sea, Corrections House, Mirrors For Psychic Warfare)

Das ist: Online & Presse & Radio vom 17. Juni 2016
Lash Back: Das Solo-Debüt des Musikers und Produzenten Sanford Parker (Buried at Sea, Corrections House, Mirrors For Psychic Warfare)

Das Werksregister des Stanford Parker darf man sich nicht als lose Blattsammlung vorstellen. Mit diesem eher in Telefonbuch-Dimensionen zu denkenden Korpus ließen sich ohne Weiteres Kakerlaken erschlagen. Schwer, sich da auf wenige Highlights festzulegen. Sagen wir mal so: jeder Mensch, der sein Ohr in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren in die Klangabgründe zwischen Metal und Industrial abgesenkt hat, dürfte mit Parkers Arbeit in Berührung gekommen sein. Sei es durch die Bands und Projekte, in die er als Musiker involviert ist oder war; dem Untergangs orakelnden Powerhouse Buried At Sea, der Klangextremisten-Verbrüderung Corrections House, den Doom/Postmetal-Schamanen Minsk, den Black Metal-Junkies Nachtmystium etc. pp.
Oder aber durch die Kontaktmasse all der Releases, die er als Produzent oder Tontechniker mit seinen ureigenen Sound-Toxika zu behandeln wusste. Das Namedropping beginnt hier mit Pelican, Eyehategod, Rwake, Voivod und hört mit YOB, Lair Of The Minotaur und Woven Hand noch lange nicht auf. In vielen Fällen (Minsk, Nachtmystium, Corrections House, Twilight, YOB, Blood Ceremony) fielen beide Tätigkeitsbereiche sogar zu einer interdisziplinären Klangradikalisierung an den Amps und hinter den Reglern zusammen.

Eine Vita, die Parker als einen der begehrtesten Produzenten und generell als zentrale Figur in der Nischenkultur Chicagos und der assoziierten Genres generell ausweist. Aber nicht nur das. Sie ermöglicht auch eine ungefähre Vorstellung davon, wie besessen er seine Soundforschung in die verschiedensten Undergroundsegmente austreiben lässt.

Das jahrelange Ausloten all dieser Soundextreme eskaliert nun in „Lash Back“, seinem ersten Solo-Album. Es ist Material, das augenblicklich kalte Phantasmen triggert. Ein Score-artiger Rausch, den sich Parker selbst von Bewegtbildern ganz besonderer Art eingeben lässt: „Es sind Songs, die ich hören möchte, während ich Auto fahre. Ich schreibe die meisten meiner Songs für verschiedene Umgebungen – die Stadt, die Wüste, den Wald. Ich stelle mir also vor, wie ich durch diese Szenerien heize, während ich sie schreibe.“
Dabei ist in seinen kristallinen Soundscapes wenig Raum für naturalistische Friedensstiftung. Die Wüste in seiner Klangsprache ist die Wüste nach Armageddon. Der Wald ein feindseliger, auswegloser Ort.

Gewissermaßen ist dieses Material die Übersetzung von Doom in die Methoden elektronischer Musik. Ein Entwurf von Genre-übergreifender, dystopischer Musik, die auf den Loops und Sequenzer-Programmierungen von Industrial aufbaut, die rein linearen Songstrukturen aber aufgibt zugunsten eines instrumentalen Storytellings, das in der Entwicklung den Track zu einer ganzen Klangwelt ausweitet. Dabei beruft sich Parker gewiss auf amerikanische und englische Industrialtraditionen, seine vor allem in den Obertönen zu beobachtende mikroskopische Kleinarbeit dürfte aber auch von deutschen Avantgarde-Elektro-Institutionen wie Raster-Noton oder Mille Plateaux geschult worden sein. Trotzdem erhebt sich „Lash Back“ im gegenwärtigen Geschehen extremer Musik wie der schwarze Monolith aus Kubricks „Space Odyssey“ – unangreifbar, unvergleichbar, in perfekter Form.

Bereits der Opener „Psychic Driving“ schlägt von innen die Membranen blutig. Ein behäbiges 70 bpm-Monster mit feindseliger Sägezahn-Soundkruste. „Knuckle Crossing“ navigiert sich mit Nebelhornbrummen durch einen Sumpf aus Teer und lässt Shakersounds zischeln wie Klapperschlangen, während sich „Slow Children“ von field recordings über den Einsatz von Trap-Hi-Hats bis in ein industrielles Neuronalgewitter steigert. Über den prasselnden Eisbrand „Low Gaps“ gipfelt das Album in seinem dramatischen Höhepunkt „Your Feral Blood“. Einer Nummer in relativ klassischer Beatstruktur, die schwarzen Nebel über den Dancefloor atmet, während sie die Schönheit des Untergangs feiert. Das beschließende „Sheep Slaughter“ hinterlässt dann ein offenes Ende eines Angsttraumes in Noise.

Insgesamt ein kaum verdauliches, zu Undurchdringbarkeit aufgerüstetes Album. Erhaben in seiner massiven Wucht und zweifelsfrei der Brocken, an dem alles andere erst mal vorbei muss, das in diesem Jahr extrem, Sound-versiert und relevant sein will.

Andreas Richter (Vice)


Sanford Parker:
Lash Back
VÖ: 22.07.2016
My Proud Mountain / Cargo Records