Farewell Dear Ghost: Das Album „Neon Nature“ der smarten österreichischen Indie-Popper erscheint am 13.10.!
Es ist schon paradox: Gerade in Zeiten musikalischer Ubiquität verlangt ein Album heute wieder mehr Anspruch, mehr Mut. Aus dem „Jeder kann ein Album machen“ der jüngeren Vergangenheit entwickelt sich der Longplayer langsam wieder zu einem Format, das nicht jeder stemmt. Es ist etwas Besonderes, mitunter Gewagtes, den Hörer 43 Minuten für sich zu gewinnen, zu versuchen, dem schnellen Finger am Skip-Button adäquat Konter zu geben.
Farewell Dear Ghost machen das, indem sie sich mit großer Geste aus dem Fenster lehnen und sich dabei nicht zu schade sind, wichtige Fragen zu stellen. 2017 geht das, darf der Indie-Background auch glitzernd nach Pop schmecken, auch wenn der Grat schmal wird. Gerade bei den zahllosen Live-Auftritten der letzten Jahre hat der österreichische Vierer bewiesen: Dieser Tanz auf der Rasierklinge kann durchaus gelingen.
„Neon Nature“ hat dazu das reichlich strapazierte Klischee des „schwierigen zweiten Albums“ zu bekämpfen. Und in der Tat ist viel passiert, seit 2013 das Debüt „We Colour The Night“ erschienen ist.
„Fire“ (von besagter Platte) und „We Were Wild Once“ (von der 2016 veröffentlichten EP „Skin“) fanden ihren Weg auf Platz 1 der Charts von FM4, der österreichischen Institution für guten Geschmack, und in zahlreiche Playlisten internationaler Radiostationen, knackten die Millionengrenze beim Streaming-Krösus Spotify. Bands wie Nada Surf, The Naked and Famous oder The Jezabels wurden kreuz und quer durch Europa auf den Bühnen begleitet; selbständig tourte die Band neben Gastspielen in Istanbul oder Tel Aviv bis nach China (wohin sie im Oktober zurückkehrt) und bespielte Showcasefestivals wie den mittlerweile allseits bekannt gewordenen Vorreiter Eurosonic im niederländischen Groningen. Im September ergänzten das Reeperbahn Festival in Hamburg und das Zandari Festa im koreanischen Seoul diese Liste.
Ein entscheidender Punkt in der Bandgeschichte war die erwähnte gemeinsame Tournee durch China und die aus den Erlebnissen dort gespeiste EP„Skin“ (2016). Man fand und erfand sich dort und seither in der von der Bühne vertrauten Besetzung noch einmal neu, zog sich in das vertraute Grazer Studio des Produzenten Christofer Frank zurück und ließ die so unterschiedlichen Einflüsse der vier so grundverschiedenen Charaktere zusammenfließen. „Neon Nature“ hat nicht zuletzt deshalb auch den Touch eines Debüts – und ist vor dem Hintergrund eines nicht unerfolgreichen Erstlings ein Sprung ins kalte Wasser.
Schon die Ambivalenz des Titels zeugt von Gegensätzen, von Scheinrealitäten und dem Echten im Leben auf der anderen Seite des Spektrums. Sänger und Texter Philipp Szalay beschreibt auf einer emotionalen Metaebene des Außenstehenden das geradezu absurd Erscheinende an seiner Generation: Die künstliche Überhöhung des Ichs, übersteigertes Selbstbewusstsein bis zur Manie unter dem Deckmantel der perfekten Präsentation – das ist Szalays Neon. Er zoomt tief in diese Welt hinein und stellt die Frage: Wo ist das Loslassen geblieben? Muss ich wirklich der König von Wasauchimmer sein, um mein Dasein zu rechtfertigen?
Er findet die Antworten in Zitaten aus einer Beatles-Doku („Friar Park“), in verschwommenen Gedankenresten aus einer durchzechten Nacht („Moonglass“) und in seiner eigenen Zerrissenheit zwischen der echten Welt „da draußen“ und der inneren Gedankenwelt; zwischen dem Neon der Großstadt, das auch die Show, ja die Inszenierung des Selbst symbolisiert – und der Frage nach dem Echten. Mit gekonnten Popmelodien, denen sie – Motto und Albumtitel gemäß – geradezu enthusiastische Zerstörung entgegensetzen („Prince of Saigon“, „Kimono Blazer Vibe“). Dazu gibt es natürlich die bereits vorab veröffentlichten Singles („Pink Noise“, sowie das derzeit allseits rotierende „Moonglass“). Zum Drüberstreuen ein Feature von Kim Cooper („Blush“) und ein bezauberndes Duett mit Avec („Tease“).
Ob der grelle Vordergrund nun die neue Realität darstellt oder sie letztlich nur wie viel zu dickes Make-Up zudeckt, bleibt unbeantwortet. Und so passt „Neon Nature“ mit all seinen Facetten perfekt ins Hier und Jetzt.
Farewell Dear Ghost:
Neon Nature
13.10.2017
Ink Music / Rough Trade
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